Die wenig erforschte Krankheit Lipödem
Dicke Beine trotz Sport und Salat? Eine gestörte Fettverteilung, Wassereinlagerungen ohne Beteiligung der Füsse und Spannungsschmerzen sind Hinweise auf ein Lipödem. Ein Überblick über eine noch weitgehend unerforschte Krankheit, die praktisch ausschliesslich Frauen betrifft.
Woher kommen Wassereinlagerungen?
Wassereinlagerungen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Bevor eine Behandlung eingeleitet wird, sollten Sie klären, woher das Wasser im Gewebe kommt. Die Ursachen von sogenannten Ödemen können im Lymph- oder Venensystem, an Herz oder Nieren, aber auch an Hunger liegen. Oder eben an einer gestörten Fettverteilung, wie das beim Lipödem der Fall ist. Viele Faktoren wie zum Beispiel Umwelteinflüsse, Hormone und Gewichtszunahme triggern die Fettzunahme. Das wiederum löst ein hormonelles Muster in den Fettzellen selbst aus, und führt so zur weniger Sauerstoffversorgung und einer entzündlichen Reaktion. Diese Entzündungen sind es vor allem, die für die Schmerzen verantwortlich sind, nicht die Wassereinlagerung an sich. Der daraus entstehende Stress – auch der psychische – fördert diesen Teufelskreis.
Wie kann ich Wassereinlagerungen beeinflussen?
Ein gesunder Lebensstil und ausreichend Bewegung beeinflussen Wassereinlagerungen im Körper und das Gewicht positiv. Ernährung und Sport können jedoch nicht die krankhafte Ansammlung von Fettzellen, wie dies bei einem Lipödem der Fall ist, verhindern. Bei leichteren Beschwerden können Sie also durchaus versuchen, diesen entgegenzuwirken. Erst eine ärztliche Untersuchung schafft Klarheit.
Unterschied zwischen Wassereinlagerungen und einem Lipödem
Damit Ärzte eine Fettverteilungsstörung (Lipohypertrophie) und auftretende Wassereinlagerungen an den Beinen (Ödeme) als Lipödem klassifizieren, sind gleichzeitig auftretende Schmerzen massgebend. Wer an einem Lipödem leidet, empfindet an den betroffenen Extremitäten Spannungsschmerzen. Die verschiedenen Beschwerden hängen eng zusammen: «Das Fett ist wie ein Schwamm, der Flüssigkeit aufnimmt. Daher kommen die Schwellungen an den Beinen», erklärt Dr. med. Birgit Wörle, Gründerin des Lipödem Zentrums Zentralschweiz LZZ an der Hirslanden Klinik St. Anna in Meggen. Weil diese die Haut spannen und das Gewebe entzündet ist, kommt es schliesslich zu Schmerzen. Den Leidensdruck kann jede Betroffene nur für sich selbst bestimmen und ist von aussen deshalb schwer nachvollziehbar.
Wer ist von einem Lipödem betroffen?
Die Krankheit ist noch weitgehend unerforscht, aber gar nicht so selten. Schätzungen zufolge sind rund 5% der Frauen von einem Lipödem betroffen. Das Hormon Östrogen gilt als Ursache und entsprechend entsteht ein Lipödem oft bei hormonellen Umstellungen wie in der Pubertät, in einer Schwangerschaft oder während den Wechseljahren.
Das Phänomen der Wassereinlagerungen tritt dabei nur teilweise auf. Immer vorhanden ist eine Ansammlung von Fett an den Beinen, manchmal auch an den Armen. Auffällig ist zudem, dass die betroffenen Frauen am Oberkörper oft sehr schlank sind. Umgangssprachlich ist deshalb manchmal auch von Elefantenbeinen oder Reithosen die Rede – was aber nur die äusserlichen Merkmale bezeichnet.
Vorurteile und Einschränkungen: So wirkt sich ein Lipödem im Alltag aus
«Viele Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, haben einen langen Leidensweg hinter sich», erzählt Birgit Wörle. Früher wussten diese manchmal jahrzehntelang nicht, was das überschüssige Fett, das Wasser in den Beinen oder die schmerzenden Schwellungen zu bedeuten haben. Heute finden sie den Weg zu Fachärzten schneller. Geblieben ist die Stigmatisierung.
Betroffene fühlen sich dadurch lange schuldig. Frustriert hören sie manchmal irgendwann sogar auf mit dem gesunden Lebensstil, wenn es sowieso nichts nützt – was den Krankheitsverlauf jedoch verschlechtert. Eine ausgewogene Ernährung wie auch Sport helfen nämlich durchaus, dass ein Lipödem weniger schnell fortschreitet.
Die Vorurteile sind das eine, die Einschränkungen im Alltag das andere. Die Lebensqualität leidet deutlich. Berührungen werden zur Tortur, langes Stehen oder weite Reisen sind unmöglich, nicht selten beherrschen die Schmerzen den Alltag. «Depressive Verstimmungen sind an der Tagesordnung», sagt die Dermatologin Wörle. Oftmals seien die Schmerzen so präsent, dass sie nicht nur die Frauen selbst, sondern auch deren Familien belasten.
Schmerzhafte Dellen an den Beinen – was tun?
Um die Schmerzen zu lindern, tragen Frauen, die sich aufgrund eines Lipödems in Behandlung befinden, vor allem flachgestrickte Kompressionsstrümpfe. Die massgeschneiderten Strümpfe sollen dazu beitragen, dass das Gewebe kompakt bleibt und sich positiv auf die Entzündungsreaktionen und damit auf die Schmerzen auswirken. Beim Vorliegen eines zusätzlichen Lymphödems ist zudem eine regelmässige Lymphdrainage zur Entstauung nötig. Dabei massiert ein Physiotherapeut das Gewebe mit dem Ziel, Lymphstauungen zu lösen, damit sich die Flüssigkeit wieder besser aus den Beinen und Armen zurück zum Körper verteilen kann.
Die Behandlung senkt den Leidensdruck in vielen Fällen. Nicht alle Frauen sprechen auf die konservative Therapie an und sie kann die chronisch fortschreitende Krankheit nicht immer verhindern.
Gibt es auch operative Hilfe?
Wenn der Leidensdruck hoch ist und die konservative Therapie nicht die gewünschte Entlastung gebracht hat, ist eine Fettabsaugung eine weitere Möglichkeit, das Lipödem zu behandeln. «Leider hat die Liposuktion immer noch den Beigeschmack einer Schönheits-OP – in diesem Fall jedoch nimmt sie betroffenen Frauen aber meist effektiv die Schmerzen.» Der entfernte «Schwamm» aus Fett kann fortan kein Wasser mehr aufsaugen und Spannungen verursachen, zumindest für einen längeren Zeitraum.
Die Lipödem-Spezialistin betont: Eine OP sei auch keine Heilung bei der Erkrankung, und es sei auch nicht ausgeschlossen, dass das Lipödem sich irgendwann wieder verschlimmert. Aber: «Wir drehen damit die Zeit zurück und entfernen bis zu 85% des Fettgewebes. Oft ermöglichen wir viele Jahre an gewonnener Lebensqualität“ – vor allem in den Fällen, in denen die konservative Therapie versagt hat, auch wenn sie länger und konsequent angewendet wurde.
Studien sollen Klarheit schaffen
Für die Untersuchung der Langzeiteffekte der Operation (Fettabsaugung) laufen aktuell grosse Studien. Mehr Daten sollen den Erfolg der verschiedenen Therapien belegen und den Weg für die Betroffenen individuell ebnen. Eine gross angelegte Studie namens «LIPLEG» aus Deutschland vergleicht bis voraussichtlich 2025 die beiden Therapieformen, also konservative gegen operative Therapieansätze. Birgit Wörle ist überzeugt, dass die Ergebnisse dieser Studie bei der Abgrenzung helfen werden, wann welche Therapieform am meisten bringt.